China expandiert rasant seinen Einfluss auf dem europäischen Elektrofahrzeugmarkt, gestützt auf eine perfekt integrierte Produktionskette und massive staatliche Unterstützung. Während Europa das Ziel verfolgt, Verbrennungsmotoren bis 2035 vollständig zu verbannen, steht die europäische Automobilindustrie vor einer entscheidenden Frage: Kann sie mit der Dynamik Schritt halten oder werden chinesische Hersteller die Vorreiterrolle übernehmen?
2035: Europas Automobilindustrie im Spannungsfeld zwischen Elektrozwang und China-Herausforderung
Im Juni 2022 hat das Europäische Parlament über das Verkaufsverbot für neue Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren innerhalb der Europäischen Union (EU) ab 2035 abgestimmt. Dies mit dem Ziel, bis 2050 durch eine drastische Reduzierung der Emissionen in verschiedenen Sektoren, worunter der Transport, carbon-neutral zu werden. Der Transport trägt tatsächlich zu 60 % der Emissionen an europäischen Treibhausgase bei. Dieses Enddatum und der entsprechende Wandel, der den europäischen Automobilkonstrukteuren und den Konsumentengewohnheiten aufgelegt wird, bergen durchaus gewisse Risiken für die Automobilindustrie des alten Kontinents.
E-Fuels, Zollschranken, Hybridmodelle: Europas Ringen um die Auto-Zukunft
Einerseits wird der europäische Automobilmarkt heute weiterhin hauptsächlich von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor (ICE) dominiert, die etwa die Hälfte des Absatzes im Jahr 2024 ausmachen. Hinzu kommen Hybridfahrzeuge (HEV) und Plug-in-Hybridfahrzeuge (PHEV), die in Europa ein starkes Absatzwachstum verzeichneten und im Jahr 2024 38 % des Absatzes ausmachten. Ab 2035 dürfen nur noch batteriebetriebene E-Fahrzeuge (BEV) verkauft werden, und derzeit entsprechen mehr als 85 % der Autoverkäufe nicht diesem Gesetz. Auch BEVs belegten im vergangenen Jahr mit 13,5 % des gesamten Umsatzes nur den dritten Platz (nach Antrieb aufgeteilt). Um das EU-Ziel von 100 % BEV-Verkäufen zu erreichen, wäre ab diesem Jahr eine jährliche Wachstumsrate der BEV-Verkäufe von 14 % erforderlich… was weit entfernt ist von den -5 %, die 2024 im Jahresvergleich erreicht wurden.
Chinas E-Auto-Offensive vs. Europas Verbrenner-Erbe: Wer setzt sich durch?
Andererseits haben mehrere chinesische Automobilunternehmen – Hersteller und Zulieferer – beträchtliches Know-how, insbesondere im Technologiebereich, im Segment der Elektrofahrzeuge (EV) erworben. Mit der weitgehenden Unterstützung Pekings (Grafik 1) haben chinesische Batterie- und Elektroautohersteller seit den 2000er Jahren eine solide Wertschöpfungskette aufgebaut, die vom vorgelagerten Bergbausektor bis zur Endfertigung von Elektrofahrzeugen reicht.
China ist ein weltweit führender Akteur bei der Gewinnung und Versorgung lebenswichtiger Rohstoffe. Das Land verfügt über zahlreiche Bergbauanlagen im Ausland und produziert beispielsweise rund 60 % des weltweiten Angebots an raffiniertem Lithium.


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Sources: Center for Strategic and International studies (CSIS), Coface
60 % Lithium, 100 % Ambition: Chinas Rohstoffmacht als Gamechanger
Der Aufbau einer umfassenden vertikalen Wertschöpfungskette – die Förderung, Raffinierung und Herstellung integriert – und die finanzielle Unterstützung durch die Zentralregierung haben die Entstehung eines führenden Elektrizitätssektors ermöglicht. Chinesische Hersteller haben eine breite Produktpalette entwickelt, ihre Produktionskapazitäten verbessert und in Forschung und Entwicklung investiert. Angesichts des intensiven Wettbewerbs und des Preiskampfs auf dem chinesischen Inlandsmarkt haben die Hersteller ihre Produktionskosten und damit auch ihre Verkaufspreise schrittweise gesenkt. In China verkaufte Elektrofahrzeuge sind daher zwei- bis dreimal günstiger als auf Exportmärkten.
Importzölle vs. Preisdumping: Kann Brüssel den chinesischen E-Auto-Tsunami stoppen?
Aus europäischer Sicht besteht daher offensichtlich die Gefahr eines Niedergangs einheimischer Hersteller gegenüber diesen Wettbewerbern, die die Frist 2035 besser einhalten können. Dieser Herausforderung stellt sich die Kommission, indem sie Zollzuschläge einführt, um den Preisunterschied zu begrenzen.
Wenn Europa eine führende Automobilindustrie auf seinem Boden behalten will, muss es Produktionskapazitäten für Elektrofahrzeuge erschaffen, die gegenüber den chinesischen Konkurrenten ausreichend konkurrenzfähig sind. Das Hauptproblem ist jedoch der enorme Unterschied in den Produktionskosten zwischen Europa und China (Grafik 2). Die Einführung von Zollzuschlägen verringert somit die Kluft zwischen der EU und China. Diese neuen Zollschranken, die im Laufe der Zeit verstärkt werden könnten, scheinen Teil einer Strategie der „Industrialisierung durch Importsubstitution“ zu sein. Eine solche Strategie wurde in den 1980-Jahren von den Vereinigten Staaten angenommen, angesichts der harten Konkurrenz der japanischen Konstrukteure. Durch die Kombination von Importquoten und die Neuausrichtung des Währungssystems zugunsten des amerikanischen Dollars drängte Washington japanische Hersteller dazu, ihre Fabriken auf amerikanischem Boden anzusiedeln. So waren zehn Jahre nach der Unterzeichnung des Plaza-Abkommens die Importe japanischer Fahrzeuge in die Vereinigten Staaten um 55 % zurückgegangen und wurden durch die Produktion japanischer Autos in den Vereinigten Staaten ersetzt (Grafik 3).
Hourly Labor costs in industry in 2023 (in EUR)
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Timeline of Japan-US passenger cars trade (by vehicles)


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Sources: Japanese Automotive Manufacturers Association, Coface
Vom Plaza-Abkommen zu BYD: Lehrt die Geschichte Europas Umgang mit China?
Dieses Modell könnte den Instanzen in Brüssel theoretisch gefallen. Allerdings scheint der Verhandlungsspielraum auf europäischer Seite momentan sehr minim zu sein. Im Verhältnis Vereinigte Staaten-Japan, hatte Washington seit 1945 eine Position der Stärke Tokio gegenüber. Ausserdem waren in 1980 45 % der gesamten Autoexporte Japans für den amerikanischen Markt bestimmt. Übrigens genügen die von der EU angewandten Zolltarife nicht, um den Preisunterschied zwischen europäischen und chinesischen Elektrofahrzeugen auszufüllen. Beispielsweise weist das chinesische Unternehmen BYD Preisunterschiede von rund 80 % bis 100 % zwischen seinen in China und Europa verkauften Modellen auf. Um eine wirkliche Preisüberbrückung zwischen dem chinesischen und dem europäischen Markt zu erreichen, wären Aufschläge von etwa 45 % bis 55 % erforderlich.
Stellantis, BYD und der polnische Kompromiss: Chinas Umgehungsstrategien in Europa
Der europäische Markt bleibt mittelfristig ein zentrales Anliegen für chinesische Automobilhersteller, die nach Alternativen zur Abschwächung des Inlandsmarktes suchen und ihre Investitionen in verschiedenen Regionen der Welt erhöhen (Grafik 4). Um die Zollmassnahmen einzuschränken, könnten sie sich für eine Hybridlösung entscheiden. Sie würde darin bestehen, Fahrzeuge aus in China hergestellten Bausätzen zusammenzubauen. Dies ist der Fall bei der Partnerschaft zwischen Stellantis und dem chinesischen Unternehmen Leapmotor, das sein Elektromodell T03 in Polen montieren wird.


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Sources: Trademaps, Coface