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Von übertriebenem Pessimismus bis zu überzogenen Erwartungen - Coface Barometer Q4 2022

Das Jahr 2023 beginnt mit guten Nachrichten von der makroökonomischen Front. Zum Beispiel hat Europa eine lange angekündigte Rezession vermieden. Vor diesem Hintergrund haben sich die Risikobewertungen von Coface nur geringfügig verändert, mit 5 Änderungen bei den Länderrisiken und 16 Änderungen bei den Branchenrisiken.

Der Kreditversicherer Coface hat seine Risikoeinschätzung für fünf Länder angepasst. Im aktuellen Risiko-Barometer erhalten ausschliesslich Schwellen- und Entwicklungsländer, darunter Indien und Peru, neue Bewertungen. Nach zuletzt zahlreichen Abwertungen ist Europa dieses Mal nicht betroffen – auch dank eines bislang milden Winters und damit leicht aufgehellter Konjunkturaussichten. Das Länderrisiko spiegelt die Wahrscheinlichkeit von erhöhten Zahlungsausfällen bei Exportkrediten in einem Land in den kommenden sechs Monaten wider.

Der milde Verlauf des Winters hat viele Volkswirtschaften in Europa bislang vor einer Verschärfung der Energiekrise bewahrt und die angekündigte deutliche Rezession verhindert. Rückläufige Energiepreise haben zudem zu einer Verlangsamung der Inflation geführt. Darüber hinaus weckt die Aussicht auf einen kräftigen Aufschwung in China in der zweiten Jahreshälfte die Hoffnung, dass die Weltwirtschaft aus ihrer derzeitigen Flaute herauskommt. „Die vielseitigen Herausforderungen bleiben jedoch nach wie vor aktuell. Die multidimensionale Krise aus geopolitischer Fragmentierung, Energiekrise, Klimawandel, Epidemierisiken etc. wird nicht einfach verschwinden“, sagt Coface-Volkswirtin Christiane von Berg. Die Hoffnung auf ein Comeback Chinas ab dem späten Frühjahr 2023 birgt auch Risiken, denn angesichts des Gewichts Chinas auf die Nachfrage in den globalen Rohstoffmärkten erscheint es illusorisch, den chinesischen Wirtschaftsaufschwung mit einem gleichzeitigen, weit verbreiteten Rückgang der Inflation in Einklang zu bringen. "Wenn China die Maschinen wieder anwirft, könnten bei wenig verändertem Angebot die Energiepreise wieder steigen.“

 

Indien und Burundi trotzen abwärts Trend

Die indische Wirtschaft zeigte sich 2022 sehr robust und legte wohl um 6,8% zum Vorjahr zu. Besonders die Öffnung der Wirtschaft nach der Corona-Pandemie hatte eine positive Wirkung. Die Konsumausgaben der privaten Haushalte zogen an und haben dadurch die Inlandsnachfrage gestärkt, auch wenn die externe Nachfrage in der zweiten Jahreshälfte zurückging. Dementsprechend wurde die Länderrisikoeinschätzung Indiens von C („hohes Ausfallrisiko“) auf nun B („relativ hohes Ausfallrisiko“) verbessert. Coface ist optimistisch bezüglich der Konjunkturaussichten im Jahr 2023, auch weil im Bereich der Zahlungsverzögerungen ein Rückgang zu beobachten ist. Das Länderrisiko von Burundi verbessert sich ebenfalls – von E („extrem hohes Ausfallrisiko) auf D, was einem „sehr hohen Ausfallrisiko“ entspricht. Bereits Ende 2021 hatten die EU und die Vereinigten Staaten, als Reaktion auf die erste friedliche Machtübergabe seit der Unabhängigkeit des Landes, ihre Finanzsanktionen aufgehoben. Die Wirtschaft bleibt dennoch äusserst fragil, die finanzielle Unterstützung sollte jedoch etwas Raum für ein staatliches nationales Entwicklungsprogramm geben, das bereits seit 2018 in Kraft ist.

 

In Richtung eines (mechanischen) Rückgangs der Inflation in der ersten Hälfte des Jahres 2023

Während der Anstieg der Energiepreise die Ursache für den Anstieg der Verbraucherpreise in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften war, führte seine Abschwächung zu einem mechanischen Rückgang der Inflation bis Ende 2022. Damit scheint die Inflation in der Eurozone ihren Höhepunkt überschritten zu haben. Dies ist auch in den Vereinigten Staaten der Fall, wo sie im Dezember 6,5 % erreichte, nachdem sie zuvor einen Höchststand von 9,1 % erreicht hatte. Neben der Abschwächung der Rohstoffpreise ist der Rückgang der Inflation auch auf den geringeren Beitrag der Waren zurückzuführen. Die Verlangsamung der Inflation dürfte sich in der ersten Jahreshälfte 2023 allein aufgrund von Basiseffekten fortsetzen, da die Rohstoffpreise unter dem Niveau des Vorjahres bleiben werden.

Vor dem Hintergrund dieses relativen Widerstands in der Wirtschaftstätigkeit zeigen sich die Arbeitsmärkte weiterhin widerstandsfähig, und die Arbeitslosenquote ist nach wie vor historisch niedrig. Die Arbeitslosenquote ging Ende 2022 in der Eurozone sogar weiter zurück, während sie in den USA mit 3,5 % auf dem niedrigsten Stand seit über 50 Jahren verharrte und im Vereinigten Königreich nur leicht anstieg (von 3,5 % auf 3,7 %). Diese Widerstandsfähigkeit könnte sich in der ersten Jahreshälfte 2023 fortsetzen: Unternehmen, die im Jahr 2022 mit historisch hohen Einstellungsschwierigkeiten konfrontiert waren, könnten versucht sein, ihre Mitarbeiter trotz der schleppenden Nachfrage zu halten, während sie auf eine Belebung der Aktivität warten.

 

Risiken für die Weltwirtschaft bleiben bestehen

Die Aussichten für die Weltwirtschaft bleiben auch im Jahr 2023 düster, in einem Umfeld, das nach wie vor risikoreich und unsicher ist. Am meisten Anlass zur Sorge gibt die Inflationsentwicklung. Zwar scheint ein Disinflationstrend im Gange zu sein, doch bleibt die entscheidende Frage nach seiner Landung offen. Das Szenario einer Rückkehr zu dem von den Zentralbanken der fortgeschrittenen Länder gesetzten Ziel von 2 % ist noch nicht ganz vom Tisch, aber die Möglichkeit einer Stabilisierung der Inflation auf einem höheren Niveau zeichnet sich ab. Die für den ersten Teil des Jahres erwartete Disinflation könnte unterbrochen werden, bevor sie das von den Währungsbehörden angestrebte Niveau erreicht, und ein Wiederanstieg der Inflation in der zweiten Jahreshälfte ist nicht auszuschliessen.

Auch der Aufschwung in China ist eine Quelle der Unsicherheit. Die Lockerung der Beschränkungen für COVID-19 im Lande dürfte zu einer Erholung des chinesischen Verbrauchs führen. Da die plötzliche Wiedereröffnung jedoch mit einem Anstieg der Infektionen einherging, dürfte die Erholung schrittweise erfolgen. Die Normalisierung der Wirtschaftstätigkeit könnte also Ende des ersten Quartals 2023 einsetzen, und in der zweiten Jahreshälfte dürfte es zu einer stärkeren Erholung kommen, so dass die Voraussetzungen für einen neuen Sturm an der Energiefront und damit auch für die Inflation gegeben sind.

 

Die sektoralen neu Einstufungen sind zurück

Unsere sektoralen Einschätzungen haben sich im Vergleich zu den letzten Barometern kaum verändert. Neben einigen negativen Veränderungen haben wir uns jedoch auch zu einigen Aufstufungen entschlossen, die die relative Verbesserung unseres Wirtschaftsszenarios widerspiegeln. Diese Hochstufungen betreffen den Automobilsektor im Nahen Osten, wo die Nachfrage weiterhin stark ist. In Indien hat die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des Landes zu einer Neueinstufung der Länderrisikobewertung geführt.

Einige Unternehmen in Sektoren, die zuvor als widerstandsfähig galten - IKT und Pharmazeutika - haben ebenfalls mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Die strukturellen Probleme, mit denen Pharmaunternehmen in Europa konfrontiert sind, werden immer deutlicher, was teilweise auf den zunehmenden Druck auf die Staatsfinanzen zurückzuführen ist. Die IKT-Unternehmen werden von der globalen Wirtschaftslage "eingeholt" und stehen weiterhin im Mittelpunkt der Handelsspannungen zwischen China und den Vereinigten Staaten.

Westeuropa schliesslich ist erneut die Region mit den meisten Herabstufungen in diesem Sektor (5 von insgesamt 11). Auch wenn die kurzfristigen Aussichten weniger düster erscheinen, ist es eindeutig noch nicht an der Zeit für Hochstufungen.

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