War der Herbst 2020 nicht eine schöne Zeit? Sicher, es drohte eine schwere Abriegelung in Deutschland, aber es gab auch vielversprechende Nachrichten über wirksamere Impfstoffe...
Wir Ökonomen haben aufgeatmet und dachten, dass wir im Herbst 2021 einen viel klareren Blick auf die wirtschaftliche Zukunft haben würden. Das war definitiv ein Trugschluss. Um Goethes Faust zu zitieren:
"Und hier, armer Narr! mit all meinem Wissen / steh ich, nicht klüger als zuvor."
Angesichts der täglich neuen Nachrichten sind die wirtschaftlichen Aussichten nach wie vor unsicher. Infolgedessen sind manche Prognosen schneller veraltet, als man "Analyse des Bruttoinlandsprodukts" sagen kann. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die "kühnen" Prognosen in diesem Artikel nicht mehr lange zutreffen werden - aber zumindest sollte der folgende Überblick etwas mehr Klarheit in den Dschungel der Wirtschaftsnachrichten bringen.
Deutschlands Winterwirtschaft 2021: Wo stehen wir heute und wohin gehen wir?
Wirtschaftlich gesehen war das Jahr 2021 für Deutschland ein durchwachsenes Jahr, das mit einem Fehlstart begann: Bis April hatten wir eine starke Abriegelung mit kleinen Unterbrechungen, dann zögerliche Öffnungsschritte bis Juni. Erst ab Juli 2021 kehrte das normale Leben zurück. Zu diesem Zeitpunkt wurde jedoch der starke Aufschwung des verarbeitenden Gewerbes aus den letzten Quartalen durch eine starke Verknappung der Vorleistungsgüter und hohe Transportkosten wieder gebremst. Wir begannen das Jahr daher mit einem Rückgang des BIP um 2 % im ersten Quartal (Q1) 2021, gefolgt von zwei Quartalen mit moderat positivem Wachstum.
Dennoch reichte dies nicht aus, um die Wirtschaft wieder auf das Vorkrisenniveau zu heben: Im 3. Quartal 2021 lagen wir immer noch 1,1 % unter dem Niveau des Winters 2019/20, und auch für die kommenden Quartale ist nur mit einem moderaten Wachstum zu rechnen - vorausgesetzt, die Sperre für nicht geimpfte Personen geht nicht wieder in eine vollständige Sperre über. Erst in der zweiten Jahreshälfte 2022 dürfte die Konjunktur in Deutschland wieder spürbar stärker anziehen, sofern sich die Verknappung von Vorleistungsgütern langsam auflöst und das verarbeitende Gewerbe nicht mehr gebremst wird.
Globale Trends: globaler Wettbewerb um Waren
Die weltweite Verknappung von Vorleistungsgütern kam nicht aus heiterem Himmel und war im Nachhinein betrachtet (wie so vieles) keine Überraschung. Weltweit hat die Covid-19-Pandemie die größte Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst. So sind im Gegensatz zur Finanzmarktkrise 2009 alle Länder der Welt von der aktuellen Rezession betroffen und befinden sich daher seit 2021 (mehr oder weniger) in einer Erholungsphase. Das bedeutet, dass sich die globale Nachfrage auf einem historischen Höchststand befindet - das Angebot an Vorleistungsgütern kann aber nicht so einfach und so schnell ausgeweitet werden.
Darüber hinaus verknappt sich das Angebot selbst aufgrund der anhaltenden Coronavirus-Beschränkungen, wobei die Fortschritte bei der Impfung in den einzelnen Volkswirtschaften sehr unterschiedlich sind. Hinzu kommen extreme Wetterphänomene: Überschwemmungen, Dürreperioden, Waldbrände usw. Und als ob das noch nicht genug wäre, gibt es auch noch Probleme im Zusammenhang mit dem Verkehr und China (weitere Informationen finden Sie unter "Gegenwind in der Lieferkette und Inflation behindern den weltweiten Aufschwung").
China hat eine "Null-Covid"-Politik eingeführt - möglicherweise auch, um die Olympischen Winterspiele in Peking im Februar 2022 nicht zu gefährden. Sobald auch nur einige wenige Covid-19-Fälle auftauchen, sperrt die chinesische Regierung ganze Städte mit Millionen von Einwohnern ab, einschließlich ihrer Häfen.
Dies führt zu einer Überlastung der Containerschiffe, die sich dann weltweit von Hafen zu Hafen fortsetzt. Und wenn die Besatzung, obwohl sie geimpft ist, nicht von Bord gehen darf, weil ihr Impfstoff in einer bestimmten Region nicht akzeptiert wird (z. B. chinesische Impfstoffe in der Europäischen Union), wird es schwierig, die Ladung zu löschen.
Und schließlich hat China mit der Rationierung von Energie einen Strich durch die Rechnung gemacht. Einerseits aus Gründen des Umweltschutzes (der Himmel über Peking soll während der Olympischen Spiele blau sein). Andererseits ist dies auf die Stilllegung der Kohleproduktion zurückzuführen. Dies belastet die Industrieproduktion in China und in der Folge alle Verbraucherindustrien und Länder. Diese Verknappung von Vorleistungsgütern wird so lange anhalten, bis sich die weltweite Nachfrage beruhigt und das Angebot sowohl stabilisiert als auch ausgeweitet wird - was zu einer Entspannung des Preisdrucks führt.
Arbeitsmarkt und Inflation: Druck nimmt weiter zu
Genau diese beiden Aspekte (Güterknappheit und Preisdruck) sind in der deutschen Wirtschaft zu beobachten. Auf dem Arbeitsmarkt läuft es für die Bundesrepublik relativ gut: Die Arbeitslosenquote hat im Oktober 2021 wieder das Vorkrisenniveau erreicht. Arbeitslosigkeit tritt nur sporadisch auf, ist aber ein hartnäckiges Problem in der Automobilbranche, wo ein Mangel an Computerchips die Fließbänder wochenlang zum Stillstand bringt.
Darüber hinaus bestimmt der gravierende Fachkräftemangel den Arbeitsmarkt und könnte daher bald zu höheren Lohnforderungen führen - vor allem angesichts der aktuellen Inflationsrate. Allein um dies zu kompensieren, müssten die Löhne um mehr als 5 % gegenüber dem Vorjahr steigen. Mehrere Faktoren tragen zur Inflation bei, vor allem vorübergehende Effekte wie die Mehrwertsteuersenkung ab 2020 und die Erhöhung der Kohlendioxidsteuer im Januar 2021, aber auch die Weitergabe der hohen Produktionskosten durch Hersteller und Einzelhändler an die Kunden. Da das letztgenannte Phänomen nicht so schnell abklingt, dürfte die Inflationsrate im Jahr 2022 sogar über dem Jahresdurchschnitt liegen (3,3 % im Jahr 2022 nach 3,1 % im Jahr 2021).
Geldpolitik: Wird die EZB reagieren?
Die Europäische Zentralbank ist sehr besorgt über die Inflationsraten: Wenn die Verbraucherpreise länger hoch bleiben, könnten die Lohnabschlüsse besonders hoch ausfallen und so eine dauerhafte Preisspirale nach oben in Gang setzen. Die EZB wäre dann gezwungen, eine weniger expansive Geldpolitik zu betreiben, indem sie die Anleihekäufe reduziert. Allerdings dürfte es lange dauern, bis sich eine Mehrheit für diese Entscheidung findet. Wahrscheinlicher ist, dass die EZB die Inflation so lange wie möglich unterdrücken wird, um mit ihrer Politik die Staatsfinanzen vieler Länder der Eurozone zu stärken. Daher wird der niedrige Einlagensatz 2022 wahrscheinlich unverändert bleiben.
Unternehmen: Ende gut, alles gut?!
Im Jahr 2021 setzte sich das "Paradoxon" der niedrigen Insolvenzzahlen fort. Obwohl einzelne Sektoren vom Staat unterstützt werden, haben die Unternehmen bisher keine Zahlungsprobleme gemeldet, und Erhebungen über die Zahlungsfähigkeit von Unternehmen zeigen sinkende Insolvenzraten. Dieses Phänomen wird wahrscheinlich so lange anhalten, bis der Staat seine Marktinterventionen beendet. Bis dahin sind wir aber noch nicht über den Berg: Die Zahl der Insolvenzen geht zwar zurück, aber die Insolvenzverluste steigen. Gemessen an den ausstehenden Verbindlichkeiten aus Insolvenzen (veröffentlicht vom Statistischen Bundesamt) hat Deutschland im September 2021 (letzte verfügbare Daten) einen Stand von 45,5 Milliarden Euro erreicht. Das ist bereits mehr als die Gesamtverbindlichkeiten für das gesamte Jahr 2020 und bedeutet, dass 2021 das "teuerste" Jahr seit 2009 sein wird, weil es in Deutschland zwar wenige, aber dafür sehr viele Insolvenzen gibt. Ein Ende dieses Trends ist für 2022 noch nicht in Sicht.